Gezeitenströmungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Extremwellen
Risiko für Schifffahrt, Offshore-Infrastruktur und Tourismus
Gemeinsames Forschungsprojekt von BSH und Helmholtz-Zentrum HEREON
Extremwellen sind eine ernste Bedrohung für Schiffe, Offshore-Windparks und Forschungsplattformen. Ihre enorme Kraft kann erhebliche Schäden verursachen. Um dem entgegenzuwirken, haben das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und das Helmholtz-Zentrum HEREON das Forschungsprojekt „Freak Waves II“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, zuverlässige Vorhersagemethoden zu entwickeln, um Schifffahrt, Wirtschaft und Tourismus besser zu schützen.
Was sind Extremwellen?
Extremwellen, auch „Freak Waves“ oder „Rogue Waves“ genannt, sind mindestens doppelt so hoch wie der Mittelwert der höchsten Wellen in einem Seegang. Besonders gefährlich sind ihre steile Vorderfront und ihr plötzliches Auftreten. Weltweit gehen jährlich zahlreiche Schiffe durch extrem hohe Wellen verloren – durchschnittlich werden zwei bis drei solcher Wasserwände pro Woche dokumentiert. Der Nordatlantik gilt als eine der Hauptregionen für solche Phänomene, doch auch in der Nordsee treten sie regelmäßig auf.
Ein eindrucksvolles Beispiel ereignete sich am 5. Dezember 2013: Eine Extremwelle, ausgelöst durch den Orkan „Xaver“, zerstörte das 15 Meter hoch gelegene Zwischendeck der Offshore-Forschungsplattform „Fino“, 45 Kilometer nördlich von Borkum. Die Reparatur der Messanlagen kostete rund 120.000 Euro.
Häufiger als gedacht
Die Ergebnisse von „Freak Waves II“ zeigen, dass die meisten Extremwellen als seltene, aber erklärbare Abweichungen innerhalb typischer Wellenhöhenverteilungen auftreten. Doch überraschenderweise fanden die Forschenden heraus, dass besonders hohe Extremwellen in der südlichen Nordsee häufiger vorkommen als bisher angenommen.
Sechs Wellenmessbojen, hauptsächlich aus dem Messnetz des BSH, lieferten Daten für die Untersuchung. Dabei zeigte sich, dass die Häufigkeit von Extremwellen je nach Standort variiert. Vor allem an der Boje „SEE“ vor Norderney war jede 5800. Welle eine Extremwelle – ein Spitzenwert im Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2016.
Ein möglicher Grund: In Gebieten mit stark wechselnden Wassertiefen, wie vor Norderney, entstehen vermehrt sogenannte Solitone – langanhaltende Wellenkämme, die in Verbindung mit Extremwellen stehen könnten.
Gezeitenströmungen verstärken das Risiko
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Starke Gezeitenströmungen erhöhen nicht nur die Wahrscheinlichkeit von Extremwellen, sondern können diese auch noch verstärken. Interessanterweise geschieht dies nicht nur, wenn die Welle gegen die Strömung läuft – wie es die Theorie nahelegt – sondern auch, wenn Welle und Strömung in dieselbe Richtung verlaufen.
Künstliche Intelligenz für bessere Vorhersagen
Ein innovativer Ansatz des Projekts war der Einsatz von Methoden des Maschinellen Lernens. Zwei unterschiedliche Modelle wurden entwickelt, um das Auftreten einer Extremwelle innerhalb der nächsten zehn Minuten vorherzusagen – mit vielversprechenden Ergebnissen.
„Für eine praktische Anwendung sind jedoch noch mehr Daten nötig, und es könnte sinnvoll sein, die Methode auf größere Gebiete auszuweiten“, erklärt Salika Thilakarathne, Wissenschaftler im „Freak Waves II“-Projekt. Zudem müsse das physikalische Verständnis dieser Vorhersagbarkeit weiter vertieft werden.
Bedeutung der Forschung
„Unsere Studie zeigt erstmals anhand eines großen Datensatzes, dass es in der Nordsee Regionen gibt, in denen Extremwellen häufiger auftreten als anderswo“, fasst Ralf Weisse vom Helmholtz-Zentrum HEREON zusammen. „Zudem konnten wir verschiedene Entstehungsmechanismen identifizieren und das Potenzial für eine Vorhersage solcher Wellen mithilfe Künstlicher Intelligenz nachweisen.“
Die Forschungsergebnisse sind ein wichtiger Schritt, um Extremwellen besser zu verstehen – und um die Sicherheit auf See zu erhöhen.
Nach einer PM von Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
Foto: Eine Extremwelle hatte das Zwischendeck stark beschädigt: Die Offshore-Forschungsplattform „Fino“, die 45 Kilometer nördlich von Borkum liegt. Quelle: Martin Moritz